Dieser Text wurde auch publiziert auf philosophie.ch.
Nur wenige verbinden das Finanzwesen mit Ethik und wenn doch, dann oft sogar negativ. Es ist mir tatsächlich schon passiert, dass ich von meinem Interesse an der Finanzethik berichtete und eine anwesende Person lautstark verkündete: ,,Im Finanzwesen gibt es keine Ethik, sondern nur Zahlen und Renditen!“ Bedauerlicherweise befindet sich ebendiese Person in einer Ausbildung, die sie ziemlich sicher in die Bereiche des Finanzwesens führen wird, wodurch ihre Aussage ohne ein Umdenken ihrerseits wohl leider zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden wird. Nichtsdestotrotz ist die Finanzethik ein höchst relevantes Feld, unter dem sich leider viele nur wenig vorstellen können. Deswegen möchte ich diesen Beitrag nutzen, um einen kleinen Einblick in einen der vielen Bereiche dieses Feldes zu geben.
Moralität in Investmentbeziehungen
Wie kann man anfangen über die Moralität von Investments durch institutionelle Investoren nachzudenken? Unter institutionellen Investoren versteht man üblicherweise Unternehmen, zu deren Haupttätigkeiten es gehört, Geld an den Finanzmärkten zu investieren, also Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Funds, Vermögensverwalter usw. Wo beginnt man hier also mit den ethischen Überlegungen?
Ausgehend von der Frage, ob das Investment eines institutionellen Investors ethisch richtig oder vertretbar ist, kann man zwischen mindestens zwei diesbezüglich relevanten Beziehungen differenzieren: Zum einen ist da die Beziehung des institutionellen Investors zu den Unternehmungen, in die er investiert (angenommen es handelt sich um gewöhnliches Aktien- oder Obligationeninvestment). Zum anderen ist da die Beziehung des institutionellen Investors zu seinen Kunden. Aus der Perspektive des institutionellen Investors kann man im ersten Fall von der äusseren Investmentbeziehung sprechen, weil es darum geht, wo man das Geld ausserhalb des eigenen Unternehmens platziert. Dagegen kann im letzteren Fall von einer internen Investmentbeziehung gesprochen werden, weil es darum geht, wie man Geld investiert, das durch Kund*innen oder Partner*innen in die Hände des eigenen Unternehmens gelegt wird.
Äussere Investmentbeziehungen
Beim Blick auf die ethische Vertretbarkeit von Investitionen wird in der Philosophie oft auf die äussere Investmentbeziehung fokussiert.[1] Das ergibt durchaus Sinn, wenn man als Investorin wissen möchte, ob es ethisch vertretbar ist, in ein Unternehmen zu investieren, das beispielsweise dafür berüchtigt ist, Kinder zu beschäftigen, seinen Angestellten menschenunwürdige Arbeitsbedingungen zu bieten, massive Umweltschäden zu verursachen, systematisch seiner Steuerpflicht auszuweichen oder seinem Management horrende Löhne auszuzahlen.[2] Aus ethischer Perspektive stellen sich hier die Fragen nach möglicher Komplizenschaft, ob es moralisch verwerflich ist, von Unrecht zu profitieren oder nach einer sozialen unternehmerischen Verantwortlichkeit gesellschaftlichen Wert zu generieren oder nicht zu zerstören.[3] Die wohl meist diskutierte empirische Frage in Bezug auf diese Beziehung, die auch zur Beantwortung dieser ethischen Probleme relevant sein könnte, bleibt aber diejenige nach den tatsächlichen Konsequenzen von ethischen oder unethischen Investments.[4] Eine weitere Frage, könnte sein, ob das sozialverantwortliche Investieren (socially responsible investing, kurz SRI), das sich in den letzten Jahren zu einem starken Trend entwickelt hat, mit ethischem Investieren gleichgesetzt werden kann.[5]
Innere Investmentbeziehungen
Bei der inneren Investmentbeziehung geht es darum, welche moralischen Verpflichtungen ein institutioneller Investor gegenüber seinen Kund*innen oder Partner*innen hat. Dazu wird oft versucht zu eruieren, welche Beziehungsart zwischen den beiden Parteien besteht, welche Rolle der institutionelle Investor dabei einnimmt und welche ethische Implikationen das für ihn mit sich bringt. Das ist allerdings schon mit Schwierigkeiten verbunden. Eine Orientierungshilfe bieten rechtliche Kategorien, die auch ethisch relevant sind. Man unterscheidet beispielsweise zwischen Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung (agent-principal relation) und Treuhänder-Treugeber-Beziehung (fiduciary-beneficiary relation).[6] Sie hängen von den Dienstleistungen und den damit verbundenen Verantwortungen für den institutionellen Investor ab.
Eine typische, aber sehr eingeschränkte agent-principal relation wäre die zwischen der Kundin und der Bank, wenn die Bank als Zahlungsdienstleisterin fungiert. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Kundin ihre Rechnungen per E-Banking zahlt. Ein weiteres Beispiel wäre ein Kauf- oder Verkaufsauftrag des Investors an den Broker. Dazu geben die Auftraggebenden den Auftragnehmenden einen eindeutig definierten und vom Umfang her strikt eingegrenzten Auftrag. Die Auftragnehmenden haben dadurch einerseits gewisse Kompetenzen von den Auftraggebenden verliehen bekommen (Menge an Handlungen, die sie mit dem Geld der Auftraggebenden in einem gewissen Rahmen durchführen dürfen), andererseits bestimmte Pflichten gegenüber der Kundin angenommen (Den Auftrag in erwähntem Rahmen durchzuführen, sich bei und nach der Durchführung an gewisse Sorgfalts- und Transparenzstandards zu halten).
Eine fiduciary-beneficiary relation kommt zum Beispiel zustande, wenn ein Kunde die Dienstleistungen einer Vermögensverwalterin in Anspruch nimmt. In diesem Fall sind die Kompetenzen der Treuhänderin deutlich grösser als im obigen Fall. Sie darf über das Vermögen des Kunden relativ frei verfügen unter der Bedingung, dass ein gewisses finanzielles Ziel erreicht wird bzw. eine finanzielle Dienstleistung erbracht werden kann — typischerweise die Vermehrung des Vermögens. Dabei nehmen allerdings auch die Verpflichtungen zu. Man spricht hier auch von treuhänderischen Pflichten. Generell umfassen diese die Pflicht der Loyalität und der Klugheit.[7] Mit der treuhänderischen Pflicht der Loyalität ist gemeint, dass im Umgang mit dem anvertrauten Vermögen immer das Interesse der Treugebenden priorisiert wird, auch und insbesondere vor dem Eigeninteresse. Durch die treuhänderische Pflicht der Klugheit sind Treuhänder*innen dazu verpflichtet, als ökonomisch kluge Investor*innen zu agieren und das Geld nach ihrem besten Wissen und Gewissen so zu verwalten, dass das abgemachte finanzielle Ziel erreicht wird.
Leider sind diese beiden Kategorien bei weitem nicht ausreichend, um die inneren Investmentbeziehungen ethisch aufzuschlüsseln. Einerseits scheint die fiduciary-beneficiary relation lediglich eine Sonderform der agent-prinicpal relation zu sein, da auch die Inanspruchnahme der Dienstleistung einer Vermögensverwaltung über einen Auftrag abläuft. Das heisst, dass die Relation zwischen diesen beiden Kategorien der genaueren Aufklärung bedarf. Andererseits lassen sich die gängigsten Beziehungen zwischen Kund*innen und institutionellen Investor*innen nur schwerlich zufriedenstellend in diese beiden Kategorien einteilen.
So ist beispielsweise umstritten, ob die Beziehung zwischen mir und meiner Bank treuhänderischer Natur ist, wenn ich lediglich ein Konto bei dieser Bank besitze. Es lässt sich argumentieren, dass die Bank mit dem Geld weitestgehend machen kann, was ihr beliebt, solange sie den Wert zu einem beliebigen Zeitpunkt wieder zurückzahlen kann. Das klingt stark nach den oben erwähnten erweiterten Kompetenzen einer Treuhänderin unter der Bedingung ein gewisses finanzielles Ziel zu erreichen bzw. eine finanzielle Dienstleistung erbringen zu können. Andererseits wird die Bank in dieser Beziehung üblicherweise als Schuldnerin angesehen, die sich Geld geliehen hat, das sie auch ausschliesslich in ihrem Eigeninteresse verwenden darf. Damit würde die treuhänderische Pflicht der Loyalität klarerweise hier nicht zutreffen. Dennoch würden viele Leute wahrscheinlich zustimmen und es spiegelt sich auch in der internationalen Regulierung der Banken wider, dass die Bank dafür Sorge zu tragen hat, dass sie das Geld jederzeit zurückzahlen kann und deswegen trotzdem so etwas wie eine treuhänderische Klugheitspflicht für ihr Wirtschaften zu erfüllen hat, auch wenn dieses Wirtschaften in ihrem Eigeninteresse stattfindet. Auch wenn sie in ihrem Eigeninteresse handelt, muss sie das derart tun, dass sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden erfüllen kann. Damit lässt sich diese Beziehung nicht eindeutig als treuhänderische kategorisieren, teilt aber durchaus gewisse Eigenschaften mit einer solchen. Ähnliches gilt für die Beziehung zwischen Versicherungen und Versicherungsnehmer*innen.[8]
Verbindung von äusserer und innerer Investmentbeziehung
Zu guter Letzt ist noch auf die moralischen Verknüpfungen zwischen äusserer und innerer Investmentbeziehung hinzuweisen. Es könnte durchaus sein, dass ein unethisches Verhalten des institutionellen Investors im Rahmen der äusseren Investmentbeziehung auch eine Verletzung seiner moralischen Verpflichtungen in den inneren Investmentbeziehungen zur Folge hat. Zum Beispiel: Wenn man glaubt, dass Leerverkäufe (sog. short sales) und damit die Spekulationen auf fallende Kurse unethisch sind, könnte das darauf hinweisen, dass der institutionelle Investor seine Pflichten gegenüber seinen Kund*innen verletzt, wenn er ihr Geld für solche Investments einsetzt. Ausserdem können moralische Pflichten im Rahmen der einen Investmentbeziehung wiederum genutzt werden, um moralische Verpflichtungen in der anderen Investmentbeziehung zu begründen. So hat der Auftrag eines Kunden an eine institutionelle Investorin, sein Geld nachhaltig anzulegen, sicherlich moralische Verpflichtungen im Rahmen der inneren Investmentbeziehung zur Folge, allerdings lässt sich daraus auch die moralische Pflicht in der äusseren Investmentbeziehung dieser Investorin ableiten, zumindest in einem bestimmten Umfang nachhaltig zu investieren. Auf der anderen Seite könnte es sein, dass es allgemeine ethische Überlegungen gibt (z.B. zu intergenerationaler oder globaler Gerechtigkeit), weshalb nicht-nachhaltiges Investieren unethisch ist. Aus diesen Überlegungen im Rahmen der äusseren Investmentbeziehungen könnten sich wiederum moralische Pflichten der institutionellen Investorin gegenüber ihren Kund*innen in den inneren Investmentbeziehungen ergeben.
Damit bleibt die Ethik des Investierens gerade auch im Bereich der institutionellen Investoren ein weites und noch deutlich zu wenig erforschtes Feld.
[1] Vgl. bspw. Hudson, R. (2005) Ethical Investing: Ethical Investors and Managers, in Business Ethics Quarterly 15, 641-657; Irvine, W.B. (1987) The Ethics of Investing, in Journal of Business Ethics 6, 233-242; Larmer, R. (1997) The Ethics of Investing: A Reply to William Irvine, in Journal of Business Ethics 16, 397-400. [2] Vgl. die Nachhaltigkeitsthemen auf https://www.unpri.org/sustainability-issues/environmental-social-and-governance-issues. [3] Vgl. Sandbu, M. (2012). Stakeholder Duties: On the Moral Responsibility of Corporate Investors, in Journal of Business Ethics 109, 97-107; Miller, S. (2017) Financial Markets and Institutional Purposes: The Normative Issues, in Herzog, L., Just Financial Markets? Finance in a Just Society, Oxford: Oxford University Press, 78-102. [4] Vgl. bspw. Kim, C.-S. (2019) Can Socially Responsible Investments Be Compatible with Financial Performance? A Meta-analysis, in Asia Pacific Journal of Financial Studies 48, 30-64; Revelli, C. and Viviani, J . L. (2015), Financial performance of socially responsible investing (SRI): what have we learned? A meta-analysis, in Business Ethics, the Environment & Responsibility 24, 158-185. [5] Vgl. Sugimoto, S. (2018) Ethics in Responsible Investment: How to Incorporate Ethics Into Investment Analysis, in Revenue Romaine de Philosophie 62, 15-22. [6] Vgl. Boatright, J. R. (2014) Ethics in Finance, Third Edition, West Sussex: John Wiley & Sons Inc. [7] Vgl. Sullivan, R., Martindale, W., Feller, E., Pirovska, M. & Elliott , R. (2019) Fiduciary Duties in the 21st Century. Final Report, published by UNEP Finance Initiative and Principles for Responsible Investment. Link: https://www.unpri.org/fiduciary-duty/fiduciary-duty-in-the-21st-century-final-report/4998.article. [8] Siehe dazu meine Arbeit „A Fiduciary Duty of Ethical Adequacy and Socially Responsible Investing“, wo ich einen Treuhandbegriff vorschlage, der es durchaus zuliesse, Banken und Versicherungen in diesen umstrittenen Funktionen als Treuhänderinnen zu klassifizieren. Link: https://00f12b9a-4356-4ce2-800a-4729d33b062d.filesusr.com/ugd/3a8a66_f106dde3ded841f4ab3acdb1af42fa14.pdf.
Weiterführende Literatur:
- Boatright, J.R. (eds.) (2010) Finance Ethics: Critical Issues in Theory and Practice, Hoboken, New Jersey: John Wiley & Sons.
- Boatright, J. R. (2014) Ethics in Finance, Third Edition, West Sussex: John Wiley & Sons
Inc.
- Hendry, J. (2013) Ethics and Finance: An Introduction, Cambridge: Cambridge University Press.
- Herzog, L. (eds.) (2017) Just Financial Markets? Finance in a Just Society, Oxford: Oxford University Press.
- Koslowski, P. (2011) The Ethics of Banking. Conclusions from the Financial Crisis, Dordrecht: Springer Nether lands.
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