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Mittlere Brücke - Teil 5 von 7 - Bonian und Lisa

  • Samuel Tscharner
  • vor 19 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit

BILD_Titelbild_Mittlere Brücke




5

 


Bonian und Lisa erklommen die Stufen gemeinsam. Das taten sie schon seit Jahren, Hand in Hand, Tritt um Tritt. Heute stiegen sie zügig hinauf, denn im Schatten der Brücke herrschte noch die letzte Kühle des Frühlings, während oben wieder die warmen Sonnenstrahlen auf sie warten würden.

     Hinter ihnen schwirrten Möwen durch die Luft. Sie zeterten und stritten um das Erdbeertörtchen eines blonden, pausbackigen Buben. Erschrocken von der Aufdringlichkeit der enthemmten Vögel hatte dieser seine kostbare Nachspeise hilflos von sich geworfen und war weinend an Bonian und Lisa vorbei zu seinen Eltern geflüchtet, die in einem der überfüllten Restaurants an der Rheinpromenade einkehrten. Zwischen Amüsement und Mitgefühl waren die beiden kurz stehengeblieben und hatten ihm nachgeschaut. Dann wechselten sie einen bedeutsamen Blick, küssten sich flüchtig, doch frohmütig und setzten ihre Unterhaltung fort.

     «Ich dachte früher immer an ‘Leonardo’.», sagte Lisa und schnaufte beim Ersteigen der Treppen, « Bua, streng heute.»

     «Ist es dir denn wichtig, dass der Name italienisch ist?» fragte Bonian.

     Sie navigierten nach links und reihten sich in den Menschenfluss über die Brücke ein. Eine frische Brise trug vertraute Akkordeonklänge durch die kristallklare Lichtflut.

     «Nein, die Herkunft spielt mir eigentlich keine Rolle. Es war damals vielmehr wegen Leonardo Da Vinci, aber das kommt mir heute albern vor.»

     «Verstehe», Bonian schmunzelte – Ehre, wem Ehre gebührt. Es imponierte ihm immer wieder aufs Neue, wie tiefverwurzelt ihre Leidenschaft für die alten Meister war, «Ich finde Leonardo noch schön.»

     Lisa überlegte und zog Bonian leicht an der Hand, um entgegenkommenden Passanten auszuweichen.

     «Ich weiss nicht.» sagte sie, «Irgendwie fühlt es sich falsch an, einen Namen zu vergeben, nur wegen der Bewunderung eines anderen Menschen.»

     «Naja, es ist ein hübscher Name.»

     «Schon, aber sein Name soll doch die Wertschätzung für ihn selbst ausdrücken und nicht für irgendeine berühmte Persönlichkeit. Findest du nicht?»

    Bonian stimmte zu und wischte sich das Wasser aus den vom Heuschnupfen geplagten Augen. Nun drückte er mit dem Arm leicht gegen Lisas und zusammen überholten sie zwei ältere Herren, die vor ihnen dahinflanierten.

     «Sind chinesische Namen für dich kein Thema?», fragte sie vorsichtig und schaute zu ihm hoch. Er presste die Lippen zusammen und starrte einen Moment ernst in den Himmel. Lisa wusste schon, was jetzt kommen würde.

     «‘Konfuzius’ soll er heissen», verkündete er in patriarchalischer Manier, dann kollabierte die gespielte Strenge in seinem Ausdruck und wich seinem neckischen Lausbubengesicht. Wenn er so breit grinste, erinnerte er Lisa stets an den kleinen Frechdachs auf seinen Kinderfotos. Sie musste kichern.  

     «Ich mein’ ja nur. Warum sollte er unbedingt einen europäischen Namen haben und nicht einen asiatischen?», erklärte sie.

     «Das ist lieb», Bonian drückte sanft ihre Hand und streichelte sie mit dem Daumen, «ich sorge mich einfach über die Nachteile, die damit einhergehen; vielleicht wird er von Mitschülern geärgert, die Lehrpersonen haben Vorurteile oder auch später, wenn es um eine Wohnung oder die Arbeit geht. Du hast ja miterlebt, wie schwierig es bei mir war.»

     Lisa erinnerte sich und fühlte sich unglaublich dankbar, wie fabelhaft sich dennoch alles für sie beide entwickelt hatte. Schweigend näherten sie sich der grauhaarigen Akkordeonspielerin, die raffiniert die Melodie eines berühmten Partisanenlieds über die Brücke ausbreitete. In Lisas Kopf formten sich unwillkürlich die bekannten Textzeilen, die ihr Nonno in ihrer Kindheit oft gesungen hatte und seit ein paar Jahren wieder einen Boom erlebten.

     Bonian kramte sein Portemonnaie aus der Hosentasche und legte der Frau ein paar Franken in die Geldbüchse. Obwohl sie selbst am Sinn solcher Almosen zweifelte, behagte ihr seine Gutmütigkeit. Ihr war, als gäbe er sich nochmals besonders viel Mühe, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, seit ihr gemeinsames Baby unterwegs war. Zufrieden zog sie wieder leicht an seiner Hand und sie bewegten sich weiter auf Grossbasel zu.

     «Es gibt doch auch asiatische Namen, die weniger fremd klingen. Luan, zum Beispiel, oder Tian», überlegte sie laut.

     «Tian Foletta», formulierte er nachdenklich, «Das klingt eigentlich nicht schlecht.»

     «Dann wäre Tian ein Kandidat!?», sie freute sich.

     Bonian schmunzelte warmherzig über ihren Triumph. «Tian ist ein Kandidat», bestätigte er.

     «Wir könnten ihn aber auch offiziell Sebastian taufen und dann Tian rufen», merkte er an. Dabei zog er Lisa leicht zu sich, um einem jungen Mann, vermutlich einem Studenten, Platz zu machen, der gedankenverloren an ihnen vorbeischoss. Dann manövrierten sie sich um eine kleine Menschenansammlung herum, die beim Käppelijoch einer Stadtführerin zuhörten.

     «Sebastian und Tian sind auf jeden Fall in der engeren Auswahl», beschloss sie, klammerte sich um seinen muskulösen Arm und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Nach einer kurzen Pause, in der sie beide frische Luft und wärmende Sonnenstrahlen in sich aufsaugten, sagte sie:

     «Jetzt wird es so real.»

     «Schon so», er spürte sein Herz hüpfen bei dem Gedanken, «aber wir müssen ja noch nicht sofort entscheiden.»

     «Stimmt. Ich habe Hunger. Lass uns essen gehen, dann kannst du nachher direkt von da in die Kanzlei.»

     «Gute Idee, Vegetarisch?»

     «Mmm… Heute ist mir eher nach Burger.»

     «Burger it is then.»

Er küsste sie auf die Wange und mit ihrer rechten Hand fürsorglich auf dem leicht gewölbten Bauch kicherte sie glücklich, als sie das Ende der Brücke erreichten.


Teil 6 - Mahmut folgt am Sonntag, 22. Juni.




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