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Mittlere Brücke - Teil 6 von 7 - Mahmut

  • Samuel Tscharner
  • 22. Juni
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Juli


BILD_Titelbild_Mittlere Brücke




6

 


Mahmut rollte mit den Augen. «Ja, Bruder, ja, ich kapier’s ja schon», schnaubte er, «Wir klären das morgen, aber bitte verpiss dich jetzt langsam.»

     Wieso musste sein bester Kumpel auch genau dieser segelohrige lange Lauch sein, der sich jede Woche irgendwelche Scheisse einhandelte. Mahmut hatte gerade wirklich andere Probleme. Zum Beispiel musste er dringend aufhören, so hässlich zu schwitzen. Ob man den Schweiss riechen konnte? Mit zittrigen Fingern schnippte er den Zigarettenstummel hinter sich über die Granitbrüstung.

     «Ruf doch einfach schnell deinen Bruder an! Dann ist doch gut!,», erwiderte Mirsad und lief unruhig vor Mahmut auf und ab.

     «Nein Mann, ich habe doch schon zehn Mal gesagt, ich…»

     «Oh, Sorry», Mirsad hatte sich in seiner Hirnlosigkeit einer Geschäftsfrau in den Weg gestellt, die mit ihrer Aktentasche die Treppe hinaufgehetzt kam und ihn blind vor Eile anrempelte.

    «Mhm», murrte sie und hastete weiter. Kurz folgten ihr die verdutzten Blicke der beiden Jungs, wie sie sich den Weg zwischen den Leuten hindurch bahnte und Richtung Grossbasel verschwand. Und nur unweit neben ihnen, sass Helvetia und liess ihren Blick melancholisch über den Rhein gleiten, so als wartete sie auf den rechten Moment, um ihren Schild, ihren Speer und ihre Koffer wieder aufzuheben und ihre lange Reise fortzusetzen.

     Mahmut holte nochmals Luft und spürte den Teer in seinem Hals kratzen: «Schau Mann, ich habe dir gesagt, heute ist wichtig für mich. Diese Frau… ist nicht normal, verstehst du? Ich will, dass das gut wird.»

     Mahmut hätte sich eigentlich gerne offener ausgedrückt. Gerne hätte er erzählt, von seinem Bestreben ans Gymi zu gehen und wie er Elena dort kennengelernt hatte, in der Vorbereitung für die Aufnahmeprüfung. Er hätte schwärmen können über ihren Körper, ein zierlicher und doch sportlicher Körper einer Tänzerin, der im Klassenzimmer unwillkürlich seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er hätte ein Best-of ihrer gewitzten Kommentare im Unterricht rezitieren können. Auch ihre gemeinsamen Spaziergänge hätte er unendlich lange ausmalen können, wenn er sie nach den Kursen – komplett entgegen seines eigentlichen Heimwegs – tief ins Gundeli begleitet hatte, und sie ausgiebig über Kunst und ihre Lebenspläne philosophierten. Besonders oft dachte er an den Regentag, an dem sie ihn unter ihren Schirm eingeladen und ihm ihr Lieblingslied vorgespielt hatte. Ein komisches Lied, zu dem sich wahrscheinliche ihre Grosseltern schon kennengelernt hatten. Er schmunzelte. Wie sie dazu gesungen und getanzt hatte, völlig närrisch, ohne Scham im Regen auf einer satten dunkelgrünen Wiese. Wie er verlegen gelacht und sich für immer verliebt hatte und dieses komische Lied seither nie wieder vollständig aus dem Kopf bekam.

(Gib mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand – Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann)

     All das hätte er nur zu gerne erzählt, doch Mirsad hätte ohnehin kein Verständnis für das alles. Zumindest heute nicht. Immer noch mürrisch beugte er sich zu Mahmut.

«Ja, schon klar, aber ich check nicht, dass du nicht einfach schnell anrufen kannst! Mein Leben ist sonst echt gelaufen, Alter.», zischte Mirsad und Mahmut gab sich alle Mühe sich zu konzentrieren.

     Der dramatisierende Schisser drückte bei seinem Freund wieder einmal durch. Am helllichten Tag, auf der Mittleren Brücke, wo unzählige Menschen herumliefen und Omas Handorgeln spielten, dämpfte dieser seine Stimme und suchte paranoid nach Hirngespinsten. Als würde jemand von Dhanush jeden Moment wie ein Sonderkommando von den Dächern springen. Und selbst wenn. Das war alles lächerlich. Und trotzdem, das war Mahmut bewusst, waren die Sorgen nicht völlig unberechtigt. Dhanush konnte ziemlich mies sein. Er erinnerte sich an den verschrammten Kopf des blonden Möchtegerns aus dem Vogesen.

     «Bruder, also gut, übertreib jetzt nicht.», er erhob sich energisch von der steinernen Bank und legte Mirsad die Hand auf die Schulter. Dabei stellte er zufrieden fest, dass die Geste ihren Zweck nicht verfehlte, denn obschon seine Hände noch immer grässlich schwitzten und sein Kumpel ihn um einen halben Kopf überragte, beruhigte er sich und hörte zu.

     «Geh jetzt einfach nicht zu den Rosen oder irgendwo dahinter, sondern bleib irgendwo auf unserer Seite. Chill bei Shpetim oder Miron und wenn ich später noch Zeit habe, komme ich rüber, dann rufen wir meinen Bruder an und dann klären wir das alles morgen. Okay?»

     Mirsad schwieg und schaute ihn mit diesem Ausdruck an, den er immer aufsetzte, wenn ihm die Realität nicht gefiel. Wie ein kleiner Junge, der langsam begriff, dass der Weihnachtsmann die Briefe an den verstorbenen Opa nie wirklich hatte überbringen können; ein Mischmasch aus Ungläubigkeit, Hoffnung, Enttäuschung und einer Prise Ärger.

     Dann brach das Rattern hinter der kindlichen Visage ab und sein Kumpel schien endlich seine Beherrschung wieder zu erlangen. Die Angst blieb, das wusste Mahmut nur zu gut, doch es gab bessere Zeiten, sie zu zeigen.

     «Ich dachte, du bist die ganze Nacht beschäftigt.», ein breites, freches Grinsen zog sich von Segelohr zu Segelohr.

«Sehen wir dann, Bruder. Du kennst mich. Ich bin immer anständig mit den Frauen.», wehrte Mahmut ab.

     Unter seinen Kollegen galt er als Frauenheld. Ein Bild, das er gerne aufrechterhielt, obschon es nach seinem Gefühl nicht der Realität entsprach.

     «Aber bitte, Mann, du musst dich jetzt echt verpissen. Sie kommt sicher jeden Moment. Bitte!» schob er entschieden hinterher.

     «Easy, Bruder, ich gehe ja. Hast du mir wenigsten noch ein’ Teer auf den Weg?»

     Eine Tram rumpelte über die Brücke heran und bimmelte lautstark eine Gruppe junger Frauen aus dem Weg, die achtlos tratschend die Strasse überquerten.

     Mirsad zündete sich die Zigarette an: «Ehrenmann. Dann viel Spass, Bruder!», er zwinkerte ihm zu und verabschiedete sich mit einem lässig Handschlag.

     «Melde dich danach, ja?!», erinnerte ihn die flüchtig aufglimmende Angst nochmals mit Nachdruck und dann trottete er davon.

     Mahmut setzte sich wieder auf die steinerne, ins Brückengeländer eingefräste Bank und beobachtete wie sich sein Freund nach und nach in der Menschenmenge der Greifengasse verlor.

(Im Sturz durch Raum und Zeit, Richtung Unendlichkeit).

     Nun sass Mahmut alleine da. Fix spickte er seine Zigarette weg – die letzte für heute –, putzte seine Hände an den Hosen ab und fuhr sich mit der rechten unter den Pulli. Sein Herz pochte kräftig, doch langsamer als es sich anfühlte. Seine Haut war ekelhaft feucht und warm vom Schweiss, doch immerhin vergewisserten ihm seine Finger seiner strammen Muskeln. Er hatte die letzten Tage extra hart trainiert. Falls sie sich näherkommen sollten, wollte er bereit sein. Doch vielleicht würde sie sich heute distanzierter verhalten, nachdem er seine Aufnahmeprüfung versaut hatte. Er könnte es ihr kaum übelnehmen. Sie hatten sich bisher ja noch nicht einmal geküsst. Und selbst wenn es ihr egal war, bis er sie nach diesem Fehlschlag zu seinen Eltern mitbringen könnte, müsste noch einiges geschehen. Auch seine Freunde oder sein Bruder sollten sie vorerst nicht kennenlernen. Sie könnten ihn blamieren oder sie durch ihr Benehmen abschrecken. Nein, er würde sich nur von seiner besten Seite zeigen. Wenn er Glück hatte und alles ideal verlief, würde er am Rhein oder im Kino seinen Arm um sie legen können. Den Film würde sie mögen, da war er sich ziemlich sicher.

     Das Bild vor seinem inneren Auge, liess ihm ein scheues Lächeln übers Gesicht fliegen. Dann warf er sich einen Kaugummi ein und friemelte ein nach Zitrone duftendes Feuchttuch aus der Hosentasche, mit dem er sich pfleglich die Raucherfinger abwischte. Was für die Eltern reichte, würde hoffentlich auch bei Elena funktionieren. Obwohl sie wusste, dass er rauchte, wollte er sie nicht daran erinnern.

     Dann sass er da, ein gutaussehender kurdischer junger Mann tiefenversetzt gegenüber der melancholischen Helvetia, und wartete, während die Nervosität weiterhin an ihm nagte.

            In Gedanken ging er verschiedene Möglichkeiten durch, sie möglichst ungezwungen zu begrüssen und seine Pläne für den gemeinsamen Abend vorzustellen. Da entdeckte er sie auch schon in der Menge, wo zuvor sein Freund verschwunden war. Er erkannte ihr kluges Gesicht, ihr rötliches Haar, das elegant im Rhythmus ihres Ganges wippte. Sie kam auf ihn zu. Sein Herz machte regelrechte Sprünge und auch er sprang nun von seiner Bank auf. Kurz zögerte er (Liebe wird aus Mut gemacht), dann putzte er nochmals seine schwitzigen Hände an der Hose ab und lief ihr grinsend entgegen.





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